Weltweit sind 230 Millionen Frauen und Mädchen an ihren Genitalien beschnitten. Diese Praktik wird in 31 afrikanischen Ländern sowie in einigen Staaten in Südostasien und im Nahen Osten durchgeführt.
Nach der Dunkelzifferschätzung 2022 von TERRE DES FEMMES leben in Deutschland 103.947 Frauen und Mädchen, die bereits von Genitalbeschneidung betroffen sind. Zusätzlich sind bis zu 17.271 Mädchen unter 18 Jahre in Deutschland davon bedroht, an den Genitalien beschnitten zu werden.
In Nordrhein-Westfalen sind schätzungsweise 22.483 Frauen und Mädchen bereits von Genitalbeschneidung betroffen und zusätzlich bis zu 3.867 Mädchen gefährdet.
Viele Familien halten auch hier an der Tradition fest und lassen ihre Töchter beschneiden, meist in den Ferien im Herkunftsland oder im Ausland.
Als weibliche Genitalbeschneidung werden alle Verfahren bezeichnet, bei denen die Genitalien von Mädchen und Frauen verletzt, teilweise oder vollständig entfernt werden. Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt es vier verschiedene Formen der weiblichen Genitalbeschneidung:
Die Klitoris und/oder die Klitorisvorhaut werden teilweise oder vollständig entfernt.
Die Klitoris und die kleinen Schamlippen werden teilweise oder ganz entfernt, mit oder ohne Entfernung der großen Schamlippen.
Die kleinen und/oder die großen Schamlippen werden teilweise oder vollständig entfernt, mit oder ohne Entfernung der Klitoris. Durch das Zusammenheften oder Zusammennähen der Schamlippen wird die vaginale Öffnung verengt und es entsteht ein bedeckender, narbiger Hautverschluss.
Dazu gehören alle anderen schädigenden Eingriffe, die die weiblichen Genitalien verletzen und keinem medizinischen Zweck dienen wie Einstechen, Durchbohren, Einschneiden, Ausschaben, Ausbrennen oder Verätzen.
Nach Typ I oder II sind weltweit etwa 80 Prozent der Mädchen und Frauen beschnitten, nach Typ III etwa 15 Prozent. Typ III wird auch als „Pharaonische Beschneidung“ bezeichnet und ist die schwerste Form. Die verbleibende Öffnung der Vagina ist oft nur so winzig wie ein Reiskorn. Dadurch können Urin und Menstruationsblut nur tröpfchenweise abfließen und es kann zu einem Blutstau kommen. Auf der Toilette brauchen die Mädchen und Frauen manchmal bis zu einer halben Stunde beim Urinieren. Für den Geschlechtsverkehr und bei der Geburt eines Kindes muss die Vagina oft wieder geöffnet werden (Defibulation).
Weibliche Genitalbeschneidung wird in 31 afrikanischen Ländern praktiziert:
Ägypten, Äthiopien, Benin, Burkina Faso, Dschibuti, Elfenbeinküste, Eritrea, Gambia, Ghana, Guinea, Guinea Bissau, Kamerun, Kenia, Kongo, Liberia, Malawi, Mali, Mauretanien, Niger, Nigeria, Sambia, Senegal, Sierra Leone, Somalia, Sudan, Süd-Sudan, Tansania, Togo, Tschad, Uganda, Zentralafrikanische Republik.
Diese Praktik kommt auch vor:
in Südostasien (Indien, Indonesien, Malaysia, Pakistan, Sri Lanka, Thailand), im Nahen Osten (Irak, Iran, Jemen, Oman, Vereinigte Arabische Emirate) und in der russischen Teilrepublik Dagestan.
Das Vorkommen und die Verbreitung sind in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Es gibt Länder, in denen das Vorkommen sehr hoch ist und bei über 90 Prozent liegt: Guinea (99%), Dschibuti (98%), Somalia (98%), Ägypten (97%), Mali (92%). Das bedeutet, dass in diesen Ländern fast alle Mädchen und Frauen betroffen sind. In anderen Ländern ist die weibliche Genitalbeschneidung nur in einigen Landesteilen oder bei bestimmten Ethnien verbreitet.
Auch der Typ der Beschneidung unterscheidet sich je nach Land und Ethnie. Typ III (Infibulation) kommt vor allem in Dschibuti, Eritrea, Jemen, Oman, Somalia, Sudan, Süd-Sudan und in Teilen Malis vor.
In Südostasien wird meistens eine Beschneidung nach Typ I oder Typ IV durchgeführt.
Durch Zuwanderung und Flucht ist die weibliche Genitalbeschneidung auch in Europa und Deutschland ein Thema.
Die meisten Mädchen sind zwischen 4 und 14 Jahren alt, wenn sie beschnitten werden. Es kommt aber auch vor, dass die Beschneidung bereits wenige Tage nach der Geburt durchgeführt wird. Dies ist abhängig von der jeweiligen Ethnie. Es gibt Ethnien, bei denen Frauen erst vor der Heirat oder nach der Geburt ihres ersten Kindes beschnitten werden. Dies passiert oft dann, wenn eine unbeschnittene Frau einen Mann aus einer Ethnie heiratet, bei der die weibliche Genitalbeschneidung praktiziert wird.
Die Tendenz geht aber dahin, die Mädchen möglichst früh zu beschneiden. Der Grund dafür ist, dass die weibliche Genitalbeschneidung inzwischen in vielen Ländern verboten ist und sich jüngere Mädchen weniger dagegen wehren können.
In den Dörfern wird die Beschneidung traditionell von einer Beschneiderin durchgeführt. Dies geschieht meist ohne Betäubung und unter unhygienischen Bedingungen. Als Werkzeug nimmt die Beschneiderin einen scharfen Gegenstand: eine Rasierklinge, ein Messer, eine Glasscherbe oder einen Dosendeckel. Die Werkzeuge sind meist nicht steril und werden oft für mehrere Mädchen benutzt. Als Folge können schwere Infektionen auftreten und es kann zu einer Übertragung von HIV/AIDS kommen.
Die Mädchen wissen vorher oft nicht, was sie bei dem Eingriff erwartet und welche Konsequenzen die Beschneidung hat. Da die weibliche Genitalbeschneidung ein Tabu-Thema ist, erfahren die Mädchen nichts darüber, zum Beispiel von der älteren Schwester. Oft haben bereits betroffene Mädchen das schreckliche Erlebnis verdrängt. Bei einigen Ethnien wird den Mädchen ein schönes Fest versprochen, sie bekommen Geschenke und werden in die Gemeinschaft der erwachsenen Frauen aufgenommen, so dass sie sich auf ihre Beschneidung freuen.
Von den Müttern werden die Mädchen aufgefordert, tapfer zu sein und ihnen keine Schande zu bereiten. Oft werden sie bei dem Eingriff von der eigenen Mutter, Tanten und Nachbarinnen festgehalten. Die Mädchen erleiden dabei unvorstellbare Schmerzen, die bis zur Bewusstlosigkeit führen können, und sind danach häufig traumatisiert. Männer sind bei der Beschneidung nicht anwesend. Deshalb wissen sie oft gar nicht, was der Eingriff für die Mädchen und Frauen bedeutet und welche Folgen er hat.
Der Beruf der Beschneiderin ist in der afrikanischen Gesellschaft sehr angesehen. Er ermöglicht den Frauen, die ihn ausüben, ein eigenes Einkommen und damit ein Stück Unabhängigkeit. Oft ernähren sie mit ihrer Tätigkeit die Familie. Mütter geben den Beruf der Beschneiderin an ihre Töchter weiter.
Die Beschneiderinnen haben keine anatomischen Kenntnisse des weiblichen Körpers. Deshalb verletzen sie beim Eingriff oft noch andere Organe wie die Harnröhre. Bei älteren Beschneiderinnen kommt ein schwächer werdendes Sehvermögen hinzu.
Um möglichst viele Beschneiderinnen davon zu überzeugen, ihre Tätigkeit aufzugeben, müssen sie einerseits darüber aufgeklärt werden, dass die Beschneidung der Gesundheit schadet und die Mädchen sogar daran sterben können. Denn vielen Beschneiderinnen ist dieser Zusammenhang nicht bewusst. Gleichzeitig müssen für die ehemaligen Beschneiderinnen alternative Einkommensmöglichkeiten geschaffen werden. Daher werden in Projekten Beschneiderinnen zu Näherinnen umgeschult oder erhalten die Möglichkeit, eine kleine Hühnerzucht zu betreiben.
Bei der weiblichen Genitalbeschneidung werden die Mädchen ihrer körperlichen Unversehrtheit beraubt und leiden oft ihr Leben lang an den Folgen. Der Eingriff ist nicht wieder rückgängig zu machen. Er wirkt sich negativ auf die körperliche und seelische Gesundheit der betroffenen Mädchen und Frauen sowie auf die Sexualität aus und kann sogar zum Tod führen.
Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben 10 Prozent der Betroffenen an den akuten Folgen und 25 Prozent an den langfristigen Auswirkungen. Bei der schwersten Form der weiblichen Genitalbeschneidung, der so genannten Infibulation (Typ III), liegt die Sterblichkeit bei 30 Prozent.
Bei Mädchen und Frauen, die nach Typ III (Infibulation) beschnitten sind, kommt es häufig zum Blutstau bei der Menstruation. Eine langfristige Folge davon kann Unfruchtbarkeit sein. An der Narbe bilden sich häufig Eiterungen in Form von Abszessen, Zysten und Wucherungen, die das Wasserlassen, den Geschlechtsverkehr und den Geburtsverlauf beeinträchtigen. Während der Schwangerschaft und Geburt treten häufig Komplikationen auf. Weil das Narbengewebe der Vagina weniger elastisch ist, kann es zu einem Geburtsstillstand kommen, der zum Tod von Mutter und Kind führen kann. Eine weitere Folge kann Inkontinenz sein, die durch die Bildung von Fisteln entstehen kann. Neben den gesundheitlichen Auswirkungen können sowohl Inkontinenz als auch Unfruchtbarkeit das soziale Leben der betroffenen Frauen beeinträchtigen und ihre gesellschaftliche Ausgrenzung bedeuten.
Die Folgen für die Sexualität sind bei den betroffenen Frauen sehr verschieden. Denn jede Frau empfindet Sexualität anders und für ein erfülltes Sexualleben sind viele Faktoren verantwortlich. Es gibt betroffene Frauen, die Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und ein eingeschränktes Lustempfinden haben. Andere Frauen empfinden etwas und sind mit ihrer Sexualität zufrieden.
Neben körperlichen Beschwerden kann der Eingriff auch psychische Folgen hervorrufen. Für viele Mädchen und Frauen bedeutet die Beschneidung eine seelische Verletzung. Sie kann zu Depressionen, Ess-, Schlaf- und Konzentrationsstörungen führen.
Die Gründe, warum Mädchen an ihren Genitalien beschnitten werden, sind vielfältig und sehr unterschiedlich. Das hängt ab vom jeweiligen Land und von der Ethnie. Ein Grund ist, dass es sich um eine Tradition handelt, die aufrechterhalten und an die nächste Generation weitergegeben wird. Wer sich dagegen stellt, wird aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.
Die Beschneidung gilt als Voraussetzung dafür, dass Frauen einen Mann finden und heiraten können. Das ist ein Argument, das vor allem von Müttern und Großmüttern immer wieder angeführt wird. Durch die Heirat sind die Frauen und ihre Familien gesellschaftlich und wirtschaftlich abgesichert. Für unbeschnittene, unverheiratete Frauen ist es sehr schwierig, selbstständig zu leben.
Die Gesellschaft sieht für die Frauen die Rolle als Ehefrau und Mutter vor. Durch die Beschneidung soll die Sexualität der Frau kontrolliert und eingeschränkt werden. Mangelndes sexuelles Interesse soll die Jungfräulichkeit bis zur Ehe und danach die Treue der Frau garantieren. In vielen afrikanischen Gesellschaften werden die äußeren weiblichen Genitalien beschnitten, weil sie als schmutzig und hässlich gelten und nicht dem Schönheitsideal entsprechen.
Aus biologischer und medizinischer Unkenntnis wird oft angenommen, dass die Genitalbeschneidung die Fruchtbarkeit der Frau erhöht und die Schwangerschaft und Geburt erleichtert. Das Gegenteil ist jedoch der Fall!
Es gibt Gesellschaften, in denen die Beschneidung ein Initiationsritual zur Einführung in das Erwachsenwerden ist. Damit wird der Übergang vom Kind zur Frau begangen. Häufig wird in diesem Zusammenhang ein Fest für die Mädchen, die beschnitten werden, gefeiert.
Als Grund für die weibliche Genitalbeschneidung wird oft auch genannt, dass die Religion dies verlangt. Aber die Beschneidung von Mädchen und Frauen gab es bereits in vorchristlicher und vorislamischer Zeit. In der Bibel und im Koran wird sie nicht erwähnt. Auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion spielt keine Rolle: Die weibliche Genitalbeschneidung wird bei Christen, Muslimen und Anhängern traditioneller Religionen praktiziert.
Um die schwerwiegenden Folgen deutlich zu machen und nicht den Eindruck der Verharmlosung entstehen zu lassen, wird häufig der Begriff „Genitalverstümmelung“ verwendet. Außerdem könnte die Bezeichnung „Beschneidung“ nahe legen, dass Mädchenbeschneidung ähnlich wie die Beschneidung bei Jungen ist. Das ist aber nicht der Fall!
Die meisten betroffenen Frauen möchten nicht als „Verstümmelte“ bezeichnet werden und bevorzugen deshalb das Wort „Genitalbeschneidung“. In der Beratungsarbeit mit betroffenen Frauen wird deshalb von „Genitalbeschneidung“ gesprochen. Es ist also immer von der Situation, vom Zusammenhang und von der Zielgruppe abhängig, welcher Begriff benutzt wird.
International dominieren der Ausdruck „female genital mutilation“ und die dazugehörige Abkürzung FGM (mutilation = Verstümmelung). Daneben existiert die englische Bezeichnung „female genital cutting“ (FGC) für Beschneidung.